Sonntag, 21. April 2013

Aufschrei der Sänger

Sängerinnen um die Österreichische Mezzo-Sopranistin Elisabeth Kulman kritisieren die Gagen und Probebedingungen der Salzburger Festspiele. Das ist ihr gutes Recht. Aber damit lenken sie ungewollt vom eigentlichen Problem ab: der neuen Zweiklassen-Gesellschaft der Oper.

Die Opernfrauen schreien auf. Ihr Wehklagen schmettert höher als das hohe f der Königin der Nacht durch die Feuilletons und Kulturjournale. Es geht ums Geld. Und um die Probebedingungen. Ausgelöst hat die österreichische Mezzo-Sopranistin Elisabeth Kulman den öffentlichen Aufschrei, als sie gegen die neue Vertragssituation bei den Salzburger Festspielen protestierte: Sänger werden ab sofort nur für die Aufführungen bezahlt, die Probepauschale ist gestrichen. Wer in der letzten Probe krank wird, steht trotz Arbeit ohne Geld da. Selbst die Generalproben müssen ohne Gage absolviert werden, und das, obwohl Intendant Alexander Pereira mit Vorpremieren-Tickets Geld verdient. Die US-Sängerinnen Laura Aikin und Susan Graham schließen sich dem Protest an: Sie wären durch derartige Regelungen gezwungen, aufzutreten, selbst wenn ihre Gesundheit das nicht zulasse – schließlich seien die Abendgagen „Anreiz genug“. Von „Sklavenmarkt-Politik“ und „Ausbeutung“ ist die Rede, ja „vom Ende der Oper“ gar.

Für ihren Aufschrei brauchen die Operndamen keinen Hashtag, sie nutzen den Internetblog von Englands polemischstem Opernkritiker Norman Lebrecht. Ein Reservoire für Hard-Core-Klassikfans, Besserwisser, Tastendiven und eingeschworene Stimm-Fan-Gruppen. Das wirklich Erstaunliche ist, dass der Opern-Aufschrei auch vom Feuilleton weitgehend kritiklos hingenommen wird. Feuilletons, Radio- und Fernsehsender bieten den Sängerinnen ein fast kritikloses Forum. Für Kulturjournalisten ist die These von der Ausbeutung im Opernbetrieb ein mindestens so großer Skandal wie Amazon und Lidl!

Derzeit gibt es nur wenige, die widersprechen. Einer ist der Chefdirigent der Covent-Garden Opera in London. Antonio Pappano, stellte – ebenfalls auf Lebrechts Blog – klar, dass die heutige Sängergeneration schwächelt. Grund waren die London-Absagen von Jonas Kaufmann und Juan Diego Florez: „Körperlich sind die Sänger auch nicht mehr, was sie einmal waren. Domingo hätte auf dem Totenbett liegen müssen, bevor er eine Vorstellung abgesagt hätte.“

Der Aufschrei ist so laut, dass die wesentliche Fragen gar nicht erst gestellt werden: Wieso, bitteschön, unterschreiben Stars derartige Verträge? Gehört es nicht zur Arbeit jedes freischaffenden Künstlers, Aufführungs-Bedingungen auszuhandeln? Und vor allen Dingen: Auf was für einem Niveau wird da eigentlich lamentiert? Elisabeth Kulman verdient an einem Abend sicherlich mehr als ein Mezzo-Sopran am Oldenburger Stadttheater in einem viertel Jahr. Und wie hoch können die Gagen in einem Betrieb sein, der zum großen Teil von öffentlichen Geldern finanziert wird?

Ökonomisch gesehen funktioniert das Operngeschäft wie die Formel-1 oder der Fußball: Ein Sebastian Vettel erwirtschaftet einen Großteil seiner Millionen-Gagen selbst - ebenso wie Franc Ribery oder Sebastian Schweinsteiger. Und auch Anna Netrebko, Rolando Villazón, Anna-Sophie Mutter, Christian Thielemann oder Jonas Kaufmann refinanzieren ihre bis zu 40.000 Euro hohen Gagen – durch Eintrittspreise und Sponsoren-Millionen. Wenn sie auftreten, können Festspiele, Opernhäuser oder Stadthallen-Konzerveranstalter bis zu 500 Euro pro Ticket verlangen, dann sind Mäzene und Sponsoren gern bereit, in die Marke Stimme investieren.

Gleichzeitig erhalten Ensemble-Sänger an deutschen Stadttheatern ein Monatsgehalt von rund 3.000 Euro – und selbst das ist nur möglich, weil jedes verkaufte Ticket in Deutschland mit fast 200 Euro subventioniert wird. So gesehen ist die Oper ein Abbild der Gesellschaft: Die Kluft von Arm und Reich öffnet sich. Freischaffende Künstler wie Elisabeth Kulman, Susan Graham und Laura Aikin haben sich bewusst für eine freie Laufbahn entschieden – und müssen sich damit am Mark orientieren. Es ist ihr gutes Recht, sich über die Vertragslage zu beschweren, aber letztlich handeln sie die Bedingungen selber aus. Grund für einen öffentlichen Aufschrei ist das nicht. All das ist eher so, als würde Giovanni di Lorenzo sich darüber beschweren, dass seine "3nach9"- Gage und die Radio-Bremen-Produktionsbedingungen nicht denen von „Lanz“ entsprechen. Oder als würde der Autor dieser Zeilen sich darüber beschweren, er diesen Text ohne Auftrag geschrieben hat – und ihn trotzdem niemand bezahlen will. Oder als würde der Fliesenleger Interviews in der Fliesenleger-Presse geben, wenn ein Millionär ihm nur 300 Euro für ein neues Badezimmer bezahlen will.

Der Dirigent Franz Welser-Möst gehört zu den Großverdienern der Klassik. Er bekommt ein stattliches Salär als Chefdirigent der Wiener Staatsoper und hat in den letzten beiden Jahren wohl über Hunderttausend Euro extra für das Dirigat des Neujahrskonzertes in Wien verdient. Das wiederum finanziert sich hauptsächlich durch die Übertragungs- und medialen Verwertungsrechte, durch den internationalen CD- und DVD-Verkauf. Interessanter Weise hat auch der Dirigent sich gerade mit Alexander Pereira angelegt und – konsequenter Weise – seine Auftritte bei drei Mozart-Opern n Salzburg zurückgegeben. Welser-Möst kritisiert den zu engen Spielplan, der Festspiele: „Wenn man drei Vorstellungen von ‚Cosi’ innerhalb von weniger als fünf Tagen ansetzt, ist das musikalisch für die Sänger einfach nicht zu machen.“

Auch Elisabeth Kulman beklagt, dass sie aus den Internet erfahren hätte, dass vier Salzburger „Fallstaff“-Aufführungen, in denen sie die Rolle der Mrs. Quickly singt, in fünf Tagen gegeben werden sollen – abgesagt hat sie trotzdem nicht.

Der Aufschrei der Sängerinnen wirkt deshalb befremdlich, weil er sich anhört wie der öffentliche Kampf um private und ökonomische Wertschätzung. Vor allen Dingen aber, weil er an der eigentlichen Krise der Oper vorbeigeht, die längst zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft geworden ist: Auf der einen Seite die am Existenzminimum operierenden Stadttheater, die sich feste Ensembles kaum noch leisten können und gezwungen sind, große Opernrollen wie einen Otello, eine Königin der Nacht, einen Falstaff oder einen Tristan mit teuren Gästen zu besetzen. Auf der anderen Seite die prestigeträchtigen Festivals, die erkannt haben, dass nur mit den wenigen wirklich großen Stars Kasse zu machen ist. Sie müssen mit weitaus weniger Subventionen auskommen und kalkulieren die Kunst deshalb weniger künstlerisch als viel mehr marktwirtschaftlich. Das könnte man Alexander Pereira vorwerfen – aber das tut keiner. Dabei haben seine Vorgänger durchaus bewiesen, dass Festspiele auch durch inhaltliche Akzente attraktiv und rentabel sein können. Gérard Mortier hat das vorgemacht und auch der in Salzburg geschasste Musik-Chef Markus Hinterhäuser, der mit seinem ambitionierten Orchester- und Kammermusikreihen Kunst, öffentliche Debatte und Geldverdienen vereint hat.

Elisabeth Kulman und ihre Mitstreiterinnen kämpfen in Wahrheit also nicht um Gagen, sondern um einen in Existenznot geratenen Klassik-Markt. Die wahre, und tatsächlich beängstigende Frage müsste lauten: Warum ist die Oper keine finanzielle Selbstverständlichkeit mehr? Eine Antworten lautet leider: Es gelingt ihr immer weniger, sich als gesellschaftlich relevante Kraft zu behaupten. Die Festivals verkommen zu einem für das allgemeine Publikum unbezahlbaren Starzirkus, dessen erste Aufgabe nicht mehr die Ordnung der Welt in Musik ist, sondern die pure Unterhaltung. Sie funktionieren zunehmend wie Musicaltheater, Hollywood oder die Schlager- und Popkultur. Und als solche ist es ihr Recht, Künstler nach ihrem Marktwert zu entlohnen. Gleichzeitig schaffen es viele Stadttheater heute kaum noch, ihren subventionierten Auftrag zu erfüllen und das Theater als Diskursraum einer Region zu behaupten. Entweder eifern sie (im vorauseilenden Gehorsam der Kulturpolitik) dem internationalen Opern-Spektakel nach und finanzieren mit Subventionen einen schillernden Theaterbetrieb, der eigentlich auch ohne Staatsgelder auskommen müsste. Oder sie sind kaum noch in der Lage, gegen den Strom zu schwimmen, Experimente einzugehen, ein leeres Haus zu riskieren – und gerade durch Experimentiergeist die staatliche Unterstützung zu rechtfertigen.

Diese strukturellen Fragen streift der Aufschrei der Sängerinnen nicht. Wie auch: Die meisten Sänger werden heute an weltfernen Hochschulen, an Klassik-Elfenbeintürmen, ausgebildet, an denen es weniger um die Aussagekraft und die Emotionalität der Oper geht als vielmehr um technische Perfektion und Schönklang. Viele Hochschulen bieten Self-Marketing-Kurse an, Jura- und Finanz-Seminare und Kulturmanagement für Sänger. Die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst, Oper und Stimme wird nicht gelehrt – sie wird als gegeben vorausgesetzt. Und die Karrieren haben sich gewandelt: Eine Maria Callas ist die Ochsentour gegangen, in der sie nicht von der Kunst sondern für die Kunst gelebt hat, ebenso das langjährige Stadttheater-Mitglied Montserrat Caballe. Und selbst eine Anna Netrebko hat an der strengen St.Petersburger Oper sicherlich nicht von vollen Stadttheatern und Gagen von mehreren 10.000 Euro geträumt. Ihr Erfolg ist auch die Rendite eines existenziellen Lebens für die Oper.

Der aktuelle Aufschrei der Sängerinnen macht klar, dass wir in einer Zeit leben, in der nicht jede künstlerische Leistung per se als notwendig empfunden wird. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass ein Ehepaar aus Bremen über 100 Euro für einen Konzertabend ausgibt, geschweige denn über 1.000 Euro für einen Besuch internationaler Festspiele. Stattdessen investiert es 20 Euro für eine Kinokarte der MET-Live-Übertragungen mit Anna Netrebko und kündigt sein Stadttheater-Abo (die Kino-Aufführungen sind ausgebucht, die Abos stehen vor dem Ende). Dieser Zustand ist aber kaum durch einen Aufschrei in eigener Sache zu retten. Kunst kann nur durch die Kunst an sich behauptet werden, durch stimmliche, künstlerische, dramaturgische und konzeptionelle Inhalte. Aber dazu scheint in der aktuellen Aufgeregtheit kaum noch Zeit zu bleiben.

Wenn man Elisabeth Kulman auf den Wirbel anspricht, den sie mit ihrem Aufschrei ausgelöst hat, sagt sie: „Ja, das ist leider so. Ziemlich anstrengend das alles, denn ich habe ja auch noch einen Nebenberuf zu erledigen: Manchmal arbeite ich auch noch als Sängerin.“ Vielleicht sollte Elisabeth Kulman das wider in den Vordergrund stellen, denn mit ihrer Stimme kann sie die Oper besser Retten als mit ihrem Aufschrei.

AXEL BRÜGGEMANN

10 Kommentare:

  1. Lieber Herr Brüggemann,

    wenn Sie unseren Aufschrei als derart eindimensional wahrnehmen, haben Sie schlichtweg schlecht recherchiert. Glauben Sie uns, wir arbeiten alle lang genug im Opern-"Geschäft", um zu wissen, wo die zahlreichen Problemkreise (die auch Sie hier zum Teil ansprechen) liegen.

    Wir äußern uns solidarisch und lautstark, um genau diese komplexe Thematik der Öffentlichkeit bewusst und verständlich zu machen. Gleichzeitig gehen wir auf alle im Kulturbetrieb Arbeitenden aktiv zu - ob Intendant, Veranstalter, Agent, Künstler etc. - um eine konstruktive Diskussion zu ermöglichen und gemeinsam Lösungsansätze zu finden.

    Da Sie ganz offensichtlich ähnlichen Änderungsbedarf wie wir orten, könnten Sie als Kulturjournalist Ihren konstruktiven Beitrag dazu leisten. Wir würden uns sehr freuen, aber vor allem wäre es im Dienste der so wichtigen Sache!

    Und: Ich versichere Ihnen, mein Hauptberuf als Sängerin wird ganz sicher niemals zu kurz kommen! :-)

    Mit lieben Grüßen,
    Elisabeth Kulman

    ++++++++++++++

    Für die Recherche: http://www.elisabethkulman.com/category/revolution/
    http://opernreform.com/
    http://www.youtube.com/playlist?list=PLDvKdIGDfEijCssl_gdXHL1AyC3aaKJ8X

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    1. Und natürlich auf Facebook:
      https://www.facebook.com/elisabeth.kulman.fan
      https://www.facebook.com/Kuenstlergagen

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    2. Liebe Elisabeth Kulman - danke für die Antwort. Und, ja, der Text war ja auch nicht als contra, sondern als Erweiterung gedacht. Meine Erfahrung übrigens ist, dass es im Journalismus ähnlich ist. Texte über das Innenleben des Systems sind nur sehr schwer unterzubringen. Auch hier schlägt die Zweiklassengesellschaft zu: Noch ein Interview mit Anna N. oder Lang Lang geht immer, die Stadttheaterpremiere oder Texte über den Sinn der Oper haben es dagegen schwer. Im Journalismus ist die Struktur so, dass immer weniger gedruckt wird, von dem die Chefredaktion glaubt, dass es nur eine Nische betrifft. Kann man verstehen, da Zeitungen (jedenfalls in Deutschland) ohne Subventionen auskommen und deshalb ökonomisch denken müssen. Und selbst im Öffentlich Rechnlichen Fernsehen wird es immer schwerer, Nischen zu bespielen. Ich selbst arbeite viel für arte - aber manchmal beschleichen einen Zweifel, ob das Kultur-Ghetto eine gute Erfindung war, denn so kommt die Klassik, die Literatur und die Kunst im Hauptprogramm kaum noch vor. Also: Betroffen ist nicht nur der Gesang, sondern betroffen sind die kulturellen Seismographen die kulturelle Empfindlichkeit unserer Gesellschaft!
      Liebe Grüße
      Axel Brüggemann

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    3. Aus meiner Perspektive kommt die offensichtliche Krise der Kunst aus ganz anderen gesellschaftlichen Quellen als denen, die hier beschrieben worden sind,hervor.So beobachte ich die Neigung, den "Kunstbetrieb" unter der Vorstellung einer Kulturindustrie systematisiert zu denken. Bevor auch nur ein Tropfen Schweiß durch einen Künstler vergossen worden ist,wird dem "Prinzip Kunst" das Akzidenz der "standortfördernden Maßnahme" beigegeben. Auf dem Horizont der Ansiedlung von Industrieunternehmen aller Art soll damit die Kunst einen "Wert" erzeugen, den sie primär nicht erzeugen kann und auch nicht erzeugen wollen sollte.Weiterhin ist die Auffassung hervorgekommen, dass Inhalte und Ideen, die der Kunst zugrunde liegen könnten,einer protegierenden Selektion untergeordnet werden sollen.Soweit Sie hier ganz richtig explizieren, dass manche Stadttheater hauptsächlich mit jungen Solisten arbeiten,zeigt dies folgendes auf.Die menschliche Stimme ist bestenfalls um die Lebenszeit von vierzig Jahren voll entwickelt.Bevor diese Entwicklung aber so weit fortschreiten konnte, wird der Künstler, der auf dieses Reifestadium zugeht, wiederum durch jüngere Kollegen ersetzt.Nun,es ist offensichtlich allgemein die Auffassung entstanden, dass Kunst keine "objektiven Maßstäbe" kennt. Somit werden in den meisten Fällen protegierte junge Künstler selektiert und durch die Bühnenreifeprüfung hindurch protegiert,denen man noch vor dreißig oder vierzig Jahren selbst das Studium verweigert hätte, wenn es wirklich um die künstlerische Aussagefähigkeit oder Stimmführung gegangen wäre. Nein, vielerorten genügt es tatsächlich, dass die ortsansässigen Unternehmen z.B. einen Sänger als den "Sohn von..." ausweisen, um damit hinreichend eine Qualifikation bezogen auf die Bedienung des Standortvorteils der Firma zu explizieren. In vielen Ensembles wird daher auch qualifizierteren Künstlern der Zugang verweigert unter dem Kalkül, dass durch sie keine Maßstäbe gesetzt werden dürfen, die durch die Protegés unerfüllbar sind.Denn solche Qualitätsunterschiede werden in aller Regel auch durch nicht unbedingt sachkundiges Publikum wahrgenommen.Das Übel an alledem ist, dass es jungen Sängern heute verunmöglicht ist, eigene Veranstaltungen in der Provinz durchzuführen und sich auf diese Weise qualitativ zu profilieren.Entscheidungen über den Kulturbetrieb werden allzu oft durch sachunkundige Instanzen getroffen, die ihrerseits absolut unfähig und nicht willens dazu sind,ihre Entscheidungen nach dem Wesen der Kunstsparte auszurichten.Sehr wesentlich und nahezu essentiell notwendig ist der Aufbau von Strukturen in der Provinz, in denen junge Sänger ein Refugium finden können.Von hier aus können sie in die Lage versetzt werden, die öffentlichen Bühnen durch dann bereits bekannt gewordene Leistungen zu erobern.

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  2. Sie schreiben, dass die Sänger am Stadttheater ein Monatsgehalt von rund 3000 Euro erhalten. Ist das ein Durschnittswert? Das Einstiegsgehalt liegt nämlich bei 1650 Euro Brutto und wir alle wissen doch, dass die Ensembles am Stadttheater heutzutage hauptsächlich aus Anfängern bestehen. Und ein Solist, der 4500 bis 5000 Euro im Monat (hergeleitet von Ihrem Durschnittswert) verdient, ist mir auch noch nicht begegnet. Sie verzerren hier leider die öffentliche Wahrnehmung des Sängerberufs, die Realität ist doch, dass die Sänger eines Stadttheaters viel weniger verdienen als beispielsweise die Kollegen aus der Verwaltung oder der Technik, selbst ich als Opernchormitglied verdiene zwar etwas (!) mehr als unsere Solisten, trotzdem viel weniger als die genannten Berufsbereiche oder die Kollegen vom Orchester. Bevor der Vorwurf des Sozialneids kommt: möchten Sie nicht auch so viel verdienen wie ihr Kollege, der auch nicht mehr arbeitet als Sie und eventuell sogar weniger Verantwortung für ihren Betrieb trägt?

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  3. Sie haben natürlich Recht, ich habe Spitzenwerte angenommen. Um so schlimmer! Und, ja: ich bleibe aber dabei - Kultur ist und war nie ein Sicherheitsraum. Die Erfahrung zeigt, dass sich wenigstens hier Risiko noch auszahlt!

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  4. Sehr geehrter Herr Brüggemann,

    es freut mich, dass Sie sich mit dem "Aufschrei der Künstler" befassen.
    Nur scheint Ihr Beitrag noch zu flüchtig an der Oberfläche.
    Sie stricken mir das Thema etwas herunter, als ob es hier um ein paar hysterische singende Damen mit Wohlstandsproblemchen ginge, denen nach Studium im Elfenbeinturm und Blitzkarriere der Weitblick für die Realitäten der Welt abgeht. Ich gebe zu, plakative Worte
    a la` "Revolution" sind vielleicht etwas zu spontan oder noch nicht zu Ende reflektiert, geben doch solche Begriffe eine Steilvorlage, falls man das Thema ins Lächerliche runterziehen wollte. Wenn man sich aber nicht darauf konzentriert, was man kleinreden könnte, sieht man wenig Naives. Kleinreden und Kleinhalten sehe ich als Krankheitssymptom der Krise.

    Es krankt nicht nur am Geld und nicht nur daran, dass eine berlusconische Spaß-Gesellschaft zunehmend eine Klassikphobie entwickelt, klassische Musik zu viel Nachdenken abfordert und Generationen erwachsen werden, die Zwischentöne der Seele jenseits von Schwarz, Weiss und Neon schon als Kind gar nicht kennengelernt haben.
    Wir haben zudem eine massive Krise innerhalb des Kunstbetriebs, es krankt bei den Theatern in allen Etagen. Die Künstler erfahren diese Systemkrise schon lange und sind Teil dieser Krise, keiner macht den Mund auf. Schweige-Omerta` wie sonst nur bei der Mafia.
    In so einem System geht Karriere für Künstler und Kunstentscheider am besten, wenn sie alsbald von den erfahrenen "Theater-Radfahrern" lernen: nach oben buckeln und nach unten treten. Kompetenzen im Dienste der Kunst sind weniger gefragt. Ausnahmen mit tollen Sängern und Entscheidern bestätigen die Regel.
    Viele gute Künstlerpersönlichkeiten, die zu diesem System nicht bereit sind, entscheiden sich für einen anderen Beruf oder werden abgestraft und rausgekickt.
    Von dem damaligen Solistenensemble an einem international renommierten Opernhaus, an dem ich als Anfänger noch erlebt habe, wie Theater richtig gut funktionieren kann, wenn sich jeder vom Intendanten bis zum Kantinenwirt im Dienste der Kunst sieht, singt heute kaum mehr einer. Warum? Waren das alles schlechte Sänger?
    Und wieso hat von drei jüngst gesehenen Vorstellungen von aktuell prominentesten Rollenvertretern einer bestimmten Wagner-Partie nur einer überhaupt die Spitzentöne getroffen, sprich überhaupt gesungen, was in den Noten steht?
    Wieso aber hat das vielversprechende und stressresistente Wagnertalent aus meinem Bekanntenkreis mit guter Karriere und pumperlgsunder Stimme umgeschult? Warum singt dieses ausgesprochene "Bühnentier", das alle Talente und Spitzentöne mitbringt, nicht mehr?
    Sind meine Beispiele wirklich Einzelfälle?

    Vor einiger Zeit fragte ich einen weltbekannten Sänger, ob ihm nicht ein prominenter Sänger einfiele, der mutig bereit wäre, Missstände öffentlich zu benennen, jemand der allseits bekannt, geachtet und eloquent ist und aufgrund höheren Alters nichts mehr zu befürchten hat.
    Wir gingen diverse Namen durch, niemand fiel uns ein. Umso mehr war ich froh, als ich hörte, dass Frau Kulman die Stimme erhob. Frau Kulman ist allerdings weiblich, jung, gut aussehend und mitten in der Karriere.
    Stammten die Äußerungen von ihr und den anderen Damen aus dem Mund von Herren älteren Alters mit seriösen Falten auf der nachdenkenden Stirn, schriebe man dem "Aufschrei der Künstler" vielleicht mehr Berechtigung zu?

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    1. Lieber Anonymus -

      vielen Dank für den ausführlichen Kommentar. Viele Dinge habe ich glaube ich schon beantwortet, und ich denke in der Frage, dass es in den Theaterstrukturen hapert, habe ich explizit auch so beschrieben.
      Und ich bin ja auch grundsätzlich bereit, Ihnen und den anderen zu folgen. Nur: Die Grundvoraussetzung, die auch bei Ihnen durchschimmert, stört mich. Grundlage allen Denkens muss es doch sein, dass wir (und da meine ich Künstler, Kritik, Veranstalter, Labels etc.) unsere Begeisterung für die Oper nicht als Voraussetzung nehmen können, um dafür auch Entlohnung zu fordern! Und mehr noch: Die Theater sind gerade dabei, sich abzuschaffen, weil sie genau das tun (vgl. meine Thesen zu Bremens Theaterintendant Börderding auf dieser Seite), indem sie selbstreferenziell ihre Bedeutung beschwören, ohne sie zu erfüllen!
      Das ist, wo die Zwei-Klassen-Gesellschaft der Kunst für mich beginnt: Beim selbstfinanzierten, marktwirtschaftlichen Starrummel auf der einen und in der Krise der theatralen Aussage und Bedeutung auf der anderen Seite!
      Und deshalb fordere ich, dass wir alle uns darüber im Klaren sind, dass nur Ihre Kunst, die begeisterte Vermittlung durch Medien und die gezielte Förderung in Theatern und Labels zielführend sein kann. Oder, um es kurz zu sagen: Leistung und Inhalte überzeugen die Leute da draußen! Und darum sollten wir uns kümmern, denn so viele Theater snd gerade durch die "Fahrrad-Mentalität, die Sie beschreiben) gar nicht mehr in der Lage, ihre gesellschaftliche Rolle wahrzunehmen. Sie verschließen die Augen vor der eigenen Bedeutungslosigkeit und wundern sich, wenn die Bevölkerung am Ende lieber Kindergärten und Schwimmbäder bauen will.
      Diese Verantwortung haben auch Sänger!
      Und, dieses noch - ich glaube, dass Frau Kulman durchaus eine geeignete Repräsentantin der Debatte ist und auch ernst genommen wird (wie schwer es ist, dieses Thema in öffentlichen Medien tiefgreifend unterzukriegen, s.o.). Und die grauen Männer wie Herrn Welser Möst gibt es ja!
      Also: Weitermachen, aber, bitte, bitte, bitte - nicht die Kraft unserer Kunst aus den Augen verlieren!
      Ihr Axel Brüggemann
      P.S.: Da Sie wahrscheinlich der gleiche Anonymus sind wie weiter unten: Die 3.000 Euro beziehen sich auf ein Gehalt eines mir bekannten Sängers, der mehr als 10 Jahre an einem A-Haus engagiert ist)

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    2. Stimme Ihnen zu, Sänger sind Teil der Krise und ich spreche diesen Verantwortung nicht ab - s.o. Zu Ihren Vermutungen der durchschimmernden Grundvoraussetzung: Es geht mir und vermutlich auch der Bewegung um Frau Kulman nicht um weltfremde Jobgarantien für alle Künstler und um die Befriedigung persönlicher Eitelkeiten. Grundlage allen Denkens sollte sein, dass künstlerische Leistung zählt. Wir brauchen künstlerische Kompetenzen bei den Künstlern und Sach-und Führungskompetenzen bei den Entscheidern.
      "Radfahren" verhindert Leistung. Das müssen wir stoppen.
      (Nur) wer in seinem Aufgabenfeld kompetent ist und sich in den Dienst der Kunst stellt, soll gefördert werden, sowohl an den Bühnen als auch an den Ausbildungsinstituten.
      Und marktwirtschaftliches Denken muss nicht zwangsweise kunstfeindlich sein.
      Mit marktwirtschaftlichem Denken, gewissenhaft im Dienst der Kunst, kann Kunst und Künstlerschaft geholfen werden.
      Wenn ich zum xten Mal in eine Opernvorstellung gehe und mir gelangweilt Sänger anhöre, die brav allenfalls die richtige Tonhöhe absingen, ohne damit auch nur eine einzige Note Musik gemacht zu haben, sind es die Künstler, die mit dazu beitragen, dass sich Theater abschaffbar machen, aber Wurzel des Übels sind sie wohl zumeist eher nicht. Wir sollten Künstler entsprechend ihrer künstlerischen Kompetenzen auswählen und die Arbeitsbedingungen müssen so sein, dass ihre Fähigkeiten das Publikum auch erreichen lassen. Faire Arbeitsbedingungen und angemessener Lohn müssen sein.
      Egal, ob Stadttheater oder Starrummel: blutleere Aufführungen mit blutleer runtergesungenen Worthülsen von Künstlern, die blutsaugende Arbeitsbedingungen haben -sowas rettet kein Kunstblut der Theaterwelt, sowas können wir uns nicht leisten. Würde mich freuen, wenn Sie den "Aufschrei der Künstler" noch tiefer durchleuchten wollen- vielleicht ist er für Sie dann nicht mehr befremdlich, sondern notwendig.

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  5. Nochwas zu Zahlen: Ich würde mich freuen, wenn Sie als Transparenzinformation noch die Quelle für Ihre angegebene Zahl 3000.- nennen könnten.
    Schon im Jahr 2003 schrieb die Zeitschrift "Theater Heute" exemplarisch: eine Vollzeitreinigungskraft an den städtischen Bühnen Münster in der Lohngruppe 1 verdient monatlich brutto 1527.55 Euro.
    Dem gegenübergestellt wurde der tarifl. Mindestlohn für Berufsanfänger künstlerischer Mitarbeiter, brutto monatlich 1550 .- Euro.
    Das durchschnittliche Gehalt der künstlerischen Mitarbeiter an den Bühnen Münster lag 2003 bei 2000.- pro Monat (durchschnittlich, Berufsanfänger bis zum Heldentenor).
    Nichts gegen die Leistungen und die Verantwortung einer Reinigungskraft. Aber die Vollzeitreinigungskraft hat kein kostenträchtiges Studium mit hohem Leistungsanspruch absolviert und es entstehen ihr keine weiteren Kosten. Vom Opernsänger wird erwartet, dass er sich gesanglich fortbildet, teure Gesangsstunden nimmt usw.



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