Dienstag, 25. Januar 2011

Bernd Eichinger ist tot

Der Regisseur Bernd Eichinger ist tot. Ich habe ihn vor einigen Jahren für die "Welt am Sonntag" getroffen - wir haben uns über seine erste Operninszenierung, den Parsifal an der Staatsoper in Berlin, unterhalten.
Hier - in Erinnerung an einen großen Mann - das Gespräch.

Herr Eichinger, wir sitzen auf einem abgesessenen Sofa im Kasino der Staatsoper: Letzte Woche waren einige Ihrer Hauptdarsteller krank, bei den Proben ist der Haupt-Computer ausgefallen, und dauernd wird der Probenplan geändert. Ist das Theater aufregender als Hollywood?
Bernd Eichinger: Es ist schrecklich und wunderbar zugleich. Die Zeit rast. Ich habe heute nicht einmal geschafft, meine Mutter anzurufen.
Warum lassen Sie sich als erfolgreicher Filmemacher auf das eher archaische Abenteuer Oper ein?
Eichinger: Eben weil es ein Abenteuer ist. Ich wollte dieses Ereignis einfach in meinem Leben haben: Die Arbeit mit Musik, an einem festen Text, die Arbeit mit der Bühne, mit den Sängern. Das Abenteuer der reduzierten Mittel und der Live-Aufführung, in der keine nachträglichen Schnitte mehr möglich sind. Hier auf unserer Theater-Sofaecke in der Oper bin ich wieder ein Niemand. Mich erinnert das ein bißchen an 1990, als ich in die USA gegangen bin. In Deutschland war ich damals gewohnt, am Telefon zu sagen: „Hier ist Bernd Eichinger“ und konnte in Minuten mit jedem reden, mit dem ich sprechen wollte. In den USA mußte ich bei jedem Anruf erst einmal meinen Namen buchstabieren. Inzwischen kenne ich Amerika einigermaßen, und die Oper ist für einige Wochen meine neue, unbekannte Welt, in der ich viel entdecken will.

Ein Film wird geschrieben, aufgenommen, geschnitten und läuft weltweit in den Kinos – überall gleich. Die Oper findet nur an einem Ort statt und jeden Abend etwas anders. Hat sie mehr Aura als das Kino?
Eichinger: Es ist keine Frage von mehr oder weniger Aura. Aber klar, die Dreidimensionalität der Bühne und die Unsicherheit des Abends sind Herausforderungen. Ehrlich gesagt weiß ich noch immer nicht, ob ich mir die Premiere, in der ja alles passieren kann, anschauen soll oder einfach spazieren gehe.
Ihre Film-Kollegin Doris Dörrie hat in ihren letzten Opern-Arbeiten versucht, die Stücke in Filmszenarien zu übersetzen. Volker Schlöndorff konzentriert sich auf das reine Theater, wenn er Oper macht. Sie arbeiten in Ihrer Produktion mit Video-Installationen – eine Reminiszenz an den Film?
Eichinger: Nein, denn ich verwende die Videos nur sehr sparsam und nie als cineastisches, sondern immer als theatrales Mittel. Ich packe auch nicht die Trickkiste der Special-Efects aus, sondern versuche immer wieder das Geschehen auf der Bühne um die einzelnen Menschen, die auftreten, zu fokussieren und das zu tun, was ich als einer vom Kino am besten kann: Geschichten zu erzählen.
Der Komponist Peter Eötvosh sagt, daß die Zukunft der Oper in ihrer Annäherung an die Form des Kinos läge. Ist das Kino die Fortführung der Oper mit anderen Mitteln – das moderne Medium des Pathos?
Eichinger: In gewissem Sinne ist das sicherlich so. In beiden Medien ist das Pathos die Grundsubstanz. Auf der anderen Seite ist Pathos immer nur eine Nuance des Dramas – und darauf muß man sich im Film und in der Oper konzentrieren. Letztlich gibt es kein großes Kunstwerk, das ohne Pathos auskommt. Selbst ein Filzstück von Joseph Beuys ist pathetisch. Was die Oper vom Film unterscheidet, ist daß sie nie so populär war wie das Kino. Der Film hat seinen Siegeszug auf Jahrmärkten angetreten, ist also immer eine populäre Kunst gewesen. Die Oper kommt dagegen aus einem exklusiven und elitären Rahmen.
Kann sie so überhaupt gesellschaftlich wirken?
Eichinger: Wenn wir ehrlich sind, ist das einzelne Kunstwerk immer egal. Es ist egal, ob es einen „Parsifal“ gibt. Es ist auch egal, ob es eine "Mona Lisa" gibt oder Fellinis „La Dolce Vita“. Kunst ist erst in ihrer Gesamtheit bedeutend. Es würde nicht auffallen, wenn ein Werk nicht da ist. Erst wenn Kultur generell verdorrt und keinen kreativen Zusammenhalt mit der Welt mehr herstellt, wenn Kunst nur noch Propaganda ist, wird ihr Fehlen deutlich. Kunst erzählt von Menschen und verlangt ihnen eine geistige Haltung ab, aus der eine politische Haltung wird – und die brauchen wir alle. Schon in der Antike wurde die Kunst nicht allein gepflegt, um zu unterhalten, sondern weil von einem guten Politiker erwartet wurde, daß er auch ein guter Künstler ist. Wenn ein Wikinger den Gesang nicht beherrschte, war er auch als Krieger nicht satisfaktionsfähig. Kunst ist immer auch Besinnung auf das Wesentliche. Nicht umsonst sind Zensur und Bücherverbrennungen Methoden totalitärer Regime.
Im Film steuert der Regisseur durch Kamerafahrten, Close-ups und Zooms das Auge des Publikums. In der Oper ist das Publikum immer auch ein bißchen selbst Regisseur, weil es entscheidet, wohin es auf der Bühne guckt.
Eichinger: Ich hoffe, daß das bei mir anders ist. Ich kann mir bei den Proben einfach nicht abgewöhnen, auf die Knie zu gehen, die Perspektive zu suchen und das Geschehen wie ein Film-Regisseur durch eine Linse zu betrachten. Ich will, daß das Publikum die Momente, die mir wichtig sind, mit seinen Augen verfolgt. Das erfordert eine große Präzision. Und diese Präzision zu erzeugen ist der anstrengende Teil der Probenarbeit. Es geht immer darum, daß die Spannung nicht einbricht, daß nichts vom erzählerischen Kern ablenkt. Ich will das Auge auf das Wesentliche konzentrieren. Wenn die Oper viereinhalb Stunden dauert, kommt man meines Erachtens mit Aktionismus nicht weiter. In der Ruhe liegt die Kraft.
Sie standen vor der Wahl, an der Staatsoper „Tristan" oder „Parsifal“ zu inszenieren – wieso haben Sie die Erlöseroper gewählt?
Eichinger: Das hat sich in Gesprächen mit Peter Mußbach und Daniel Barenboim so ergeben. „Parsifal“ hat im Unterschied zu „Tristan“ keinen klaren Plot. Das hat mich zunächst sehr bedenklich gestimmt, weil mein Handwerk das Erzählen ist. Dann habe ich tatsächlich einen Schlüssel gefunden, mit dem sich das „Bühnenweihfestspiel“ für mich öffnet: Ich will eben nicht seinen übersinnlichen Zustand beschreiben, sondern seine Personen, die aus einer zeitlosen Vorgeschichte kommen und in ein undefiniertes Ende gehen.
Wie sind Sie konkret vorgegangen?
Eichinger: Ich habe mir auf einen Bogen Papier alle Personen aufgeschrieben und unter jeden Namen die Biographie, die Schicksale, die Handlungsmotive, die Sehnsüchte und Wege notiert. Kundry hat zum Beispiel schon gelebt, als Jesus ans Kreuz genagelt wurde. Amfortas hat gesündigt, lange bevor die Oper überhaupt anfängt. Und plötzlich merkt man, daß es keinen zeitlichen Rahmen für dieses Werk gibt und daß sich die Wege aller Charaktere kreuzen und gegenseitig beeinflussen – aus diesen Kreuzungen entsteht das eigentliche Drama. So kann ich „Parsifal“ als melodramatisches Epos lesen und inszenieren.
Und damit der Heiligkeit des Werkes entkommen?
Eichinger: Ja, der in Weihrauch gehüllte Gesamtzustand löst sich in der Betrachtung der einzelnen Menschen hoffentlich auf. Die Heilsgeschichte finde ich sowieso eher uninspirierend: Ein Männerbund hat seine Reliquie verloren, wartet auf den Erlöser und findet sich am Ende in seinem alten, freudlosen Zustand wieder. Die einzige Frau im Stück stirbt. Aber das ist „Parsifal“ eben nur bei oberflächlicher Betrachtung. Denn Wagner ist nicht nur ein genialer Musiker, sondern auch ein großer Alchemist. Ein Architekt von Mythen. Darin liegt für mich das Faszinosum. Ich will an dieser Mythologisierung klopfen und das Menschliche, das Wagner in einer sakralen Schale versteckt hat, auspacken. Das Spannende ist doch die Erkenntnis, daß Menschen ihr Leben und die Zustände der Welt durch ihr Handeln selbst schaffen.
Ist das auch eine Erkenntnis der Oper, daß Glaube, Politik und Gesellschaft hier immer aus menschlichen Emotionen vorangetrieben werden? Ähnliches haben Sie ja auch im Hitler-Film „Der Untergang“ gezeigt.
Eichinger: Natürlich geht es immer um die Menschen. Hitler war ja kein Elefant, sondern eine dreidimensionale Figur, die der menschlichen Rasse zugehörig war. Er war ein Mensch, was allerdings lange nicht heißt, daß er menschlich agiert hat. Auch im Parsifal gibt es Menschen – manche die menschlich sind, andere, die unmenschlich agieren.
Sie selbst waren katholischer Internatsschüler – macht das die Auseinandersetzung mit den Gralshütern leichter?
Eichinger: Es würde sich wunderbar anhören, wenn ich „Ja“ sagen würde. Aber dann würde ich lügen. Ich habe keine Probleme mit meiner Vergangenheit. Und deshalb ist das Heilige für mich nicht das Wesentliche am „Parsifal“, sondern die parallelen Schicksale, die unter dem Teppich der Musik liegen. Mythen sind keine ideologischen Glashäuser, sondern entstehen aus den innersten Ängsten, Wünschen und Trieben der Menschen.
Sie waren im Sommer auch in Bayreuth. Hat Sie die „Werkstatt“ auf dem Grünen Hügel beeinflußt?
Eichinger: Ich glaube, daß Patrice Chereau in Bayreuth einen Meilenstein der modernen Opernregie geschaffen hat, als er im „Ring“ die Götter vermenschlicht hat und den Mythos als Geschichte erzählte. Christoph Schlingensief hat das Sakrale, ohne ihm Gewalt anzutun, weggedrängt und seinen eigenen Mythos mit dem Wagners verwoben. Höchst interessant, obwohl das genau in die andere Richtung geht als meine Regie, die „Parsifal“ als Melodrama begreift.
Sie haben einmal gesagt, daß sich ein guter Film dadurch auszeichnet, daß man nicht weiß, wie er endet ¿
Eichinger: Das ist eine Verkürzung. Natürlich weiß man im Film „Titanic“, daß das Schiff sinken wird, aber man weiß nicht, wie die Geschichte der einzelnen Personen ausgeht.
Wußten Sie gleich, wie Parsifal enden wird und was mit der Verführerin Kundry passiert, die Wagner sterben läßt?
Eichinger: Parsifal und Kundry, das ist für mich eine Liebesgeschichte. Deshalb müssen die beiden am Ende auch noch da sein. Gleichzeitig vermeide ich aber auch ein Happy-End à la Hollywood, sondern lasse alles in einem Zwischenzustand stehen. Mir geht es darum, daß am Ende des „Parsifal“ die Botschaft nicht lautet: "Wartet auf den Erlöser!" Dann würden wir wieder auf Stalin, Hitler oder Mao warten. Statt dessen lese ich in der Oper die alte Erkenntnis, daß die Menschen selbst ihren Grips anschalten müssen, um zu verstehen, daß ihr Handeln in der Gegenwart die Welt der Zukunft gestaltet.
Das Gespräch führte Axel Brüggemann

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