Mittwoch, 5. Januar 2011

Wenders Wagner-Walhall

Der deutsche Film-Großmeister Wim Wenders soll den „Ring“ 2013 bei den Bayreuther Festspielen inszenieren. Mit Wenders und Wagner treffen die größten deutschen Kino- und Opern-Mythen aufeinander. Zugegeben, es ist nicht neu, dass Bayreuth die Oper mit Filmregisseuren aufpolieren will: Patrice Chereau hat hier seinen Jahrhundertring inszeniert, Christoph Schlingensief einen Wahnsinns-Parsifal – und der dänische Regisseur Lars von Trier ist auf dem Grünen Hügel am „Ring“ gescheitert. Die spannende Frage ist: Wie wird Wim Wenders Wagner-Walhall aussehen? Was passiert, wenn die Sage um Rheintöchter, Siegfried und Weltengott Wotan auf den „Himmel über Berlin“, „Bona Vista Social Club“ und „Texas Shooting“ trifft? Ein kleines Gedankenspiel.
„Rheingold“-Vorspiel in Es-Dur. Im Orchester wird eine Welt aus Wasser geboren. Wenders Bühne: das abgewrackte „Million Dollar Hotel“ aus seinem Hollywood-Fiasko im Jahre 2000. Oben in den Zimmern thronen die Götter, unten, im Erdgeschoss die Nibelungen. Auf dem Dachsims sitzt – so wie im „Himmel über Berlin“ - die weise Erda als Erzengel Gabriel. Während alles um sie herum in Farbe erscheint, ist sie ganz in schwarz weiß gehalten. Immer wieder hält sie die Handlung auf, um ihre Gedanken schweifen zu lassen. Schließlich ist Wenders ein Mann des Autorenkinos!
Auf der Bühne geht die Sonne auf, langsam, und golden. Genauer gesagt: sehr langsam und sehr golden. Immerhin ist Wenders ein Meister der Langsamkeit! Ein Scheinwerfer illuminiert Zimmer für Zimmer. Oben feiert Wotan mit seinen Göttern und einer Jazzband aus Kuba, unten sitzen die halbnackten Rheinnixen in einer Badewanne und schlürfen Afri-Cola (Wenders erster großer Werbespot). Der impotente Alberich erscheint als Art Heinz Rühmann (den hat Wenders für „Himmel über Berlin engagiert) und buhlt um ihre Gunst.
Für Wim Wenders ist der „Ring“ die deutsche Urgeschichte – ein globales Szenario des Weltunterganges. Und: ein kleiner Untergang für jeden einzelnen Operncharakter. Ein Mythos, der jeden in innere Abgründe reißt. Seine Götter, Wälsunge und Menschen tapern durch illuminierte Hochhausschluchten, fahren in einer art Road Movie durch die Prärie und durch die Zeit. Sie vereinen Europa und die USA, Berlin und Texas. Sie leben in den 20er Jahren, in der Nazi-Vergangenheit und in der Gegenwart. Wenders „Ring“ ist deutsches Denken in Hollywood-Ästhetik.
„Bei mir ging es immer darum, zu fragen, wie kriegt man das auf die Reihe, dass man weiß, wofür man lebt?“, hat der Regisseur einmal gesagt – und diese Frage stellt er auch Wagners Charakteren. Sie alle leben in warmherziger Einsamkeit.
Noch hofft Wenders, dass seine US-Stars Mel Gibson und Anthony Hopkins mitmachen und singen lernen, ansonsten wird er seinen „Ring“ eben mit deutschen Mythenfiguren aufblasen: Feuergott Loge ist eine Art Campino, Siegfried als Udo Lindenberg, und der melancholische Weltengott Wotan trägt Wenders Hornbrille.
Dieser „Ring“ wird ein langsamer Bilderbogen, ein entschleunigter B-Movie, in dem die Zeit – passend Zu Wagners Tempoangaben – immer wider stehen bleibt. Nach einer Stunde hat Wenders so viele Bilder in sein „Million Dollar Hotel“ aufgestapelt, dass man nicht mehr weiß, worum es eigentlich geht. Selbst die Texte von Wenders Literatur-Freund Peter Handke, die auf einen Vorhang projiziert werden, sorgen eher für Ratlosigkeit denn für Aufklärung „Die Angst des Helden beim Weltenretten“ (einer der frühen Wenders-Filme war Handkes „Die Angst des Torwarts beim Elfmeter“). 
Aber egal. Die Action-Szenen wechseln immer wieder mit Endlos-Momenten der Einsamkeit ab: während Siegmund durch den deutschen Wald (bei Wenders ein südamerikanischer Dschungel) rennt und Siegfried über den Rhein (ein Canyon in den USA) fährt, kommt es bei den Kämpfen mit Hunding zum Quentin Tarantinohaften Blutbad.
Nach vier Abenden und 16 Stunden endlich das Finale von Wenders Wagner-„Ring“: die Welt liegt in Asche, Erda springt vom Giebel des „Million Dollar Hotels“ in den Tod, das Gebäude stürzt ein. Zum Welterlösungsmotiv schieben sich Wolken über den Bühnenboden – alles ist nun in schwarz-weiß gehalten. Im Himmel über Walhall sitzen Wagners Charaktere und schauen schweigend in den Publikumssaal, der langsam erleuchtet wird. Wenn alles vorbei ist, herrscht große Ratlosigkeit – so wie immer bei Wenders.
AXEL BRÜGGEMANN
(dieses ist die vollständige Version eines Textes für die BZ)

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