Mittwoch, 11. Januar 2012

Die Rampensau tritt ab

Ich konnte meinen Ohren nicht glauben, als Thomas Quasthoff vor einigen Tagen ins Berliner Restaurant „Florian“ kam. Er strahlte entspannt – und nach einem kurzen „Hallo“ musste er es sofort loswerden: „Mir geht es gut, weil ich aufhören werde.“ Wie bitte? „Doch, im Ernst“, sagte er. „Ich will mir das nicht mehr antun. Man sollte gehen, wenn es  am schönsten ist.“ Die Kehle mache ihm seit einiger Zeit Probleme, und überhaupt, die David-Garretsche Klassiklandschaft sei nicht mehr auszuhalten. Pop und Kommerz statt Wahrhaftigkeit und Menschlichkeit. Oberfläche statt Tiefe.
Seine Studenten würden sich freuen, sagte Quasthoff. Und er sich auch. Die Lehre, der Nachwuchs – das ist seine neue Welt. Vielleicht noch ein bisschen Jazz.
Heute ist es nun offiziell geworden: Thomas Quasthoff wird nicht mehr Klassik singen. Alle geplanten Konzerte werden abgesagt. Eine persönliche Entscheidung. Ein private Entscheidung nach einigen Tiefschlägen des Lebens. Vor allen Dingen aber: Eine Ehrlichkeit gegenüber der eigenen Stimme und eine Verantwortung gegenüber seinem Publikum, das ihn den einen oder anderen Vokal-Kratzer sicherlich verziehen hätte. Aber Quasthoff will kein Mittelmaß. Nicht bei anderen. Und nicht bei sich selbst.
Seine Entscheidung macht ihn zu einem wirklichen Künstler. Zu jemandem, der seine Stimme den Göttern weiht: Schubert, Schumann, Mozart, Haydn ... Er weiß, dass er ihnen nur Gerecht werden kann, wenn er alles geben kann. Wenn nicht, hält er lieber die Klappe.
Für mich gehört Thomas Quasthoff zu den letzten Legenden. Ich weiß nicht, wie oft seine „Schöne Müllerin“ mir Trost gespendet hat. Immer und immer wieder. Aber ich weiß, wie wir gemeinsam den „Kleinen Hörsaal“ aufgenommen haben. Wie er es geschafft hat, den Kindern den Gesang zu vermitteln – seine Stimme wurde zum Spektakel. Ein Stimmband-Hörspiel. Eine One-Man-Show als singenden, rülpsender, schreiender und flüsternder Entertainer.
Dabei war Thomas nie oberflächig, stets zuhörend, abwartend, forschend. Er hat mit den Kindern über die Romantik geredet, über den Suizid, den Tod. Weil all das zum Leben gehört.
Thomas Quasthoffs Stimme hat die Meisterwerke der klassischen Musik nie als ferne, verkopfte Kunst in die Welt getragen, sondern immer als gegenwärtige Lebensgefühle. Als Wahrhaftigkeit. Seine Stimme ist haptisch, ist Raum, ist Körper – in ihr verschmelzen Wissen und Klugheit mit Lust und Leid, Geist und Fleisch, Schönheit und Hässlichkeit. Kaum eine andere Stimme schafft es, so physisch zu klingen, uns zu berühren und Gänsehaut auf unserem Herzen zu hinterlassen.
Nun wird Quasthoff die Fackel weiterreichen. Er wird seine Professur an der HDK ausbauen, neuen Stimmen helfen, sich zu entwickeln. Und wer einmal eine Unterrichtsstunde mit ihm gesehen hat, weiß, dass er streng ist. Dass er auch als Lehrer an die Zukunft der klassischen Musik glaubt. An ihre tiefen Werte: Fleiß, Echtheit und die zeitlose Geschichte.
Auch wenn Quasthoff nicht mehr singt. Er wird seine Stimme erheben. Die herrlich unangepasste, polternde Bass-Stimme wird der Klassik die Leviten lesen. Und seine Studenten werden irgendwann die neue Generation sein.
Im „Florian“ haben wir eine Wette abgeschlossen. Ich glaube nicht, dass Thomas, die Rampensau, wirklich aufhört. „In fünf Jahren“, habe ich gesagt, „machst Du weiter.“ Der Wetteinsatz: eine Flasche Schampus. Leider hat er die Wette angenommen.
Aber sicher ist: Wir werden seine Stimme auch in Zukunft hören. Als Klassik-Kommentator und Jazzer, als Querrufer und alten Meister.
Lieber Thomas, alles Gute!


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