Irritierend
ist die neue Lust am Ätzen, am Meckern, am hinterfotzigen Schlechtmachen und an
der dauernden Selbstbefriedigung, die ihre Befriedigung daraus zu zehren
scheint, kein gutes Haar an anderen zu lassen. Ein Trend, der im Internet längst
selbstverständlich ist, dort, wo frustrierte Männer oder abgeschriebene Frauen
sich unter Pseudonym und ihrer eigenen Gürtellinie in irgendwelchen
Online-Foren Luft machen und intrigieren, mobben oder Shitstorms entfachen. Ein
populärer Un-Trend, der auch im Journalismus immer mehr an Fahrt gewinnt,
namentlich im Feuilleton.
Ja,
es kann frustrierend sein, Tag für Tag in irgendeiner Operninszenierung zu
sitzen und immer wieder das Gleiche zu sehen: die verstaubte Schubladenkiste
des angeblich so modernen Regietheaters.
Einige
Kritiker scheinen vor dieser trostlosen, eigenen Existenz in operettenhafte
Buchstabensuppen zu flüchten, in der jeder Löffel mit einer übersalzenen Pointe
gewürzt sein muss. Andere in zur Schau gestellter Schlechtgelauntheit. Wieder
andere – und ich befürchte, dazu zählt der Autor dieser Zeilen selbst – in
einen Abstand zum Metier, in Exkurse in die Welt und die strenge Einhaltung
regenerativer Pausen.
Aber,
hey, liebe Kollegen, es ist nicht unser Job, unserer eigenen Misere auf dem
Rücken anderer freien Lauf zu lassen! Wir sind keine Onlinepseudonyme, die
morgen wieder Frust schieben. Wir stehen mit unseren Namen für den Glauben an
die Kunst. Wir sind keine „Musikkrrrrrritikerrr“ á la Kreisler! Wir sind
Menschen der Leidenschaft, zutiefst überzeugt von der Sinnhaftigkeit der
klassischen Musik. Und damit eine Minderheit innerhalb unserer Gesellschaft.
Gemeinsam mit Sängern, Dirigenten und Regisseuren.
Anlass
dieser Worte ist – unter anderem – die Kritikerrunde auf „Bayern 4“, die ich
auf der Fahrt von den Bayreuther Festspielen ins Hotel im Auto gehört habe. Und
da wurde sofort losgehackt: „Ich schweige lieber, so unterirdisch war das“,
„Bayreuth-unwürdig“, „fahrlässig“....
Ich persönlich
habe viele Aufführungen gesehen – auf den neuen „Holländer“ trifft keiner dieser
Subtralative zu. Damit wir uns nicht missverstehen: Streit ist gut,
unterschiedliche Meinungen und existenzielle Debatten wichtig. Aber das
öffentliche Richten, das Augenverschließen vor jeglichem guten Willen, die
Kritik als Verweigerung einer analytischen Auseinandersetzung – all das ist sträflich!
Es beschädigt nicht nur uns Kritiker sondern auch die Oper.
Sicher,
es ist nicht leicht, sich mit diesem „Holländer“ auseinander zu setzen. Denn
Regisseur Jan Philipp Gloger ist sicherlich kein radikaler Neudeuter, kein
Harry Kupfer, wie es einer der Kollegen erwartet hatte, und auch kein Claus
Guth, der für den letzten, lyrisch-ästhetisch-bitteren „Holländer“ auf dem
Grünen Hügel verantwortlich gezeichnet hat. Nein, Jan Philipp Gogler ist ein
aufstrebender, suchender Regisseur – und daraus macht er auch keinen Hehl.
Und
vielleicht steckt genau darin die eigentliche Krise der Kritik. In der Krise
der Regie. Peter Konwitschny und Hans Neuenfels haben in den 80er und 90er
Jahren die Oper revolutioniert, ihre gesellschaftliche Kraft bewiesen und eine
ganze Kritiker-Generation beeinflusst. Sie haben uns gezeigt, dass die Oper
durchaus noch ein Ort sein kann, an dem Skandale jenseits des Feuilletons
möglich sind. Revolutionäre Gesten. Radiakles Andersdenken. Politisches
Statement.
Das
passte damals in die Zeit. Aber diese Zeit ist Passé! Und, ja, es ist
frustrierend, gerade junge Regisseure, Dramaturgen, Bühnenbildner und
Ausstatter zu sehen, die sich noch immer als Epigonen dieser Legenden verstehen.
Die ihre Ästhetik kopieren. Die es nicht schaffen, die gleiche Wirkung mit
anderen Mitteln herzustellen. Vielleicht, weil die Zeit eine andere ist, die
Rolle der Oper, die unüberschaubare Semiologie unserer Gegenwart. Vielleicht, weil heute alles,
was real ist, die Politik und die Ökonomie zur besseren Oper geworden sind als
die Bühne selbst. Und, ja, vielleicht auch, weil sie es nicht können.
Ja,
viele Inszenierungen langweilen uns heute nur noch. Wir sitzen sie ab. Im
besten Falle sind sie hübsch. Dass sie uns bewegen, ist selten geworden. Dass
sie eine Gesellschaft bewegen, kommt kaum noch vor. Aber sollen wir deshalb in
der Ecke sitzen und schmollen? Vielleicht sogar auf Grund unserer eigenen
Sattheit?
Zunächst
gilt es einmal ist festzustellen, dass dieser „Holländer“ stringent erzählt und
handwerklich gut gemacht ist – und durchaus eine Idee verfolgt. Daland ist ein Ventilator-Hersteller.
Überhaupt macht er viel Wind. Vor allen Dingen, wenn es um den „Verkauf“ seiner
Tochter Senta an den Holländer geht. Der wiederum kommt aus einer dunklen,
digitalen Welt – sein Segelboot ist ein überdimensionaler Mikrochip. Sein
Gepäck ein Koffer mit Barem. Alle sieben Jahre darf er aus seinem virtuellen Kosmos
in die Wirklichkeit treten, in der er auch nur Simulation findet, statt wahrer
Liebe.
Die will
ihm schließlich ausgerechnet Senta geben, die in der Ventilator-Welt ihres
Vaters eine eigene, altmodische Kreativität feiert. Sie bastelt das blutige
Holländer-Schiff und eine Holländer-Skulptur aus den Papp-Verpackungen ihres Vaters.
Sie verwandelt ihre Träume mitten in der Fabrik in Karton-Wirklichkeiten.
Gloger
und sein Ausstatter Christof Hetzer schaffen also drei Welten: New Economy,
virtuelles Weltmeer und Pappkarton-Kreativität. Und noch etwas: Sie pflegen
ruhige, stille Bilder, die stets die Musik unterstützen. Keinen Aktionismus,
kein wirrer Gedanke zu viel. Lieber steht alles still (oder kreist auf der
Drehbühne) als dass die Regie sich wichtiger nimmt als Wagner und in den
Vordergrund stellt, wo sie nichts zu sagen hat.
All das
ist in der aktuellen Zeit der Opernregie schon ziemlich viel. Nein, es ist
keine Revolution, kein Neudenken, keine Erschütterung. Gloger ist kein
Konwitschny, kein Wieland Wagner, kein Ponnelle – aber das will er auch nicht
sein. Stattdessen ist er ein Regisseur, der der Musik ihren Raum lässt. Und das
ist schon viel.
Er
legt eine Inszenierung vor, die sich auf Christian Thielemann verlässt, der den
„Holländer“ nicht rumpeln und poltern lässt, sondern einen wirklichen Rausch
inszeniert. Der die Tempi felxibel gestaltet, in den Nebenstimmen nach
tragenden Rollen sucht, der gleichzeitig das Pathos pflegt und dennoch
ungehörte Nuancen zum Vorschein bringt. Ein Dirigat zum Zuhören, zum
Selbersuchen.
Und
all das muss gesagt werden, bevor gebellt wird! In Bayreuth und an vielen
anderen Orten wird derzeit gesucht – gesucht nach neuen, relevanten Formen der
Oper. Selten gab es so viele gute Sänger, so viele gute Musiker wie heute. Selten
war es so spannend, wo und wann der Durchbruch gelingt. Allein, es fehlt vielen
Inszenierungen an einer zeitgemäßen Ästhetik, an Provokationspotenzial oder an
tatsächlicher Relevanz.
Kritiker
können das feststellen und „Langweilt mich!“ rufen. Aber damit helfen sie
nicht. Dabei wäre eine Debatte, die genaue Beobachtung, die Analyse, das Diskutieren über Formen der Darstellung wichtig. Grundvoraussetzung: Ein guter
Wille. Denn, das müssen wir mindestens seit 10 Jahren verstanden haben, die
Luft wird dünn. Opernhäuser werden geschlossen, und das Feuilleton hat schon
lange keine Wirkung mehr. Die Meinung eines Opernkritikers ist belanglos geworden
in einem Umfeld, in dem über Griechenlandpleite, Attentate und Weltpolitik
debattieret wird, als wären all das längst die besseren Opern. Die Künstler und
wir stecken in der GLEICHEN Krise.
Und
das führt schließlich zu so absurden Verrenkungen, dass einige Kritiker sich zu
Kämpferinnen für einen Sänger aufschwingen, der vom Staatsschutz verbotene
Runen auf seiner Brust tätowiert hat. Nein, liebe Freunde, das ist die Oper des
Boulevards. Das ist ein Nicht-Thema! Lasst uns endlich wieder wohlwollend über
die Kämpfe streiten, die auf der Bühne als Spektakel ausgefochten werden.
Darüber, wie die Oper wieder zu einem Raum wird, der nicht nur das Feuilleton
bewegt. Ein Ort, den wir als Gesellschaft brauchen, um uns über uns selbst
bewusst zu werden. Gemeinsam. Ohne Schmollen. Und ohne Selbstgefälligkeit!
AXEL BRÜGGEMANN
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