Mittwoch, 25. Juli 2012

Gedanken zum Bayreuther "Holländer"


Irritierend ist die neue Lust am Ätzen, am Meckern, am hinterfotzigen Schlechtmachen und an der dauernden Selbstbefriedigung, die ihre Befriedigung daraus zu zehren scheint, kein gutes Haar an anderen zu lassen. Ein Trend, der im Internet längst selbstverständlich ist, dort, wo frustrierte Männer oder abgeschriebene Frauen sich unter Pseudonym und ihrer eigenen Gürtellinie in irgendwelchen Online-Foren Luft machen und intrigieren, mobben oder Shitstorms entfachen. Ein populärer Un-Trend, der auch im Journalismus immer mehr an Fahrt gewinnt, namentlich im Feuilleton.
Ja, es kann frustrierend sein, Tag für Tag in irgendeiner Operninszenierung zu sitzen und immer wieder das Gleiche zu sehen: die verstaubte Schubladenkiste des angeblich so modernen Regietheaters.
Einige Kritiker scheinen vor dieser trostlosen, eigenen Existenz in operettenhafte Buchstabensuppen zu flüchten, in der jeder Löffel mit einer übersalzenen Pointe gewürzt sein muss. Andere in zur Schau gestellter Schlechtgelauntheit. Wieder andere – und ich befürchte, dazu zählt der Autor dieser Zeilen selbst – in einen Abstand zum Metier, in Exkurse in die Welt und die strenge Einhaltung regenerativer Pausen.
Aber, hey, liebe Kollegen, es ist nicht unser Job, unserer eigenen Misere auf dem Rücken anderer freien Lauf zu lassen! Wir sind keine Onlinepseudonyme, die morgen wieder Frust schieben. Wir stehen mit unseren Namen für den Glauben an die Kunst. Wir sind keine „Musikkrrrrrritikerrr“ á la Kreisler! Wir sind Menschen der Leidenschaft, zutiefst überzeugt von der Sinnhaftigkeit der klassischen Musik. Und damit eine Minderheit innerhalb unserer Gesellschaft. Gemeinsam mit Sängern, Dirigenten und Regisseuren.

Anlass dieser Worte ist – unter anderem – die Kritikerrunde auf „Bayern 4“, die ich auf der Fahrt von den Bayreuther Festspielen ins Hotel im Auto gehört habe. Und da wurde sofort losgehackt: „Ich schweige lieber, so unterirdisch war das“, „Bayreuth-unwürdig“, „fahrlässig“....
Ich persönlich habe viele Aufführungen gesehen – auf den neuen „Holländer“ trifft keiner dieser Subtralative zu. Damit wir uns nicht missverstehen: Streit ist gut, unterschiedliche Meinungen und existenzielle Debatten wichtig. Aber das öffentliche Richten, das Augenverschließen vor jeglichem guten Willen, die Kritik als Verweigerung einer analytischen Auseinandersetzung – all das ist sträflich! Es beschädigt nicht nur uns Kritiker sondern auch die Oper.
Sicher, es ist nicht leicht, sich mit diesem „Holländer“ auseinander zu setzen. Denn Regisseur Jan Philipp Gloger ist sicherlich kein radikaler Neudeuter, kein Harry Kupfer, wie es einer der Kollegen erwartet hatte, und auch kein Claus Guth, der für den letzten, lyrisch-ästhetisch-bitteren „Holländer“ auf dem Grünen Hügel verantwortlich gezeichnet hat. Nein, Jan Philipp Gogler ist ein aufstrebender, suchender Regisseur – und daraus macht er auch keinen Hehl.
Und vielleicht steckt genau darin die eigentliche Krise der Kritik. In der Krise der Regie. Peter Konwitschny und Hans Neuenfels haben in den 80er und 90er Jahren die Oper revolutioniert, ihre gesellschaftliche Kraft bewiesen und eine ganze Kritiker-Generation beeinflusst. Sie haben uns gezeigt, dass die Oper durchaus noch ein Ort sein kann, an dem Skandale jenseits des Feuilletons möglich sind. Revolutionäre Gesten. Radiakles Andersdenken. Politisches Statement.
Das passte damals in die Zeit. Aber diese Zeit ist Passé! Und, ja, es ist frustrierend, gerade junge Regisseure, Dramaturgen, Bühnenbildner und Ausstatter zu sehen, die sich noch immer als Epigonen dieser Legenden verstehen. Die ihre Ästhetik kopieren. Die es nicht schaffen, die gleiche Wirkung mit anderen Mitteln herzustellen. Vielleicht, weil die Zeit eine andere ist, die Rolle der Oper, die unüberschaubare Semiologie unserer Gegenwart. Vielleicht, weil heute alles, was real ist, die Politik und die Ökonomie zur besseren Oper geworden sind als die Bühne selbst. Und, ja, vielleicht auch, weil sie es nicht können.
Ja, viele Inszenierungen langweilen uns heute nur noch. Wir sitzen sie ab. Im besten Falle sind sie hübsch. Dass sie uns bewegen, ist selten geworden. Dass sie eine Gesellschaft bewegen, kommt kaum noch vor. Aber sollen wir deshalb in der Ecke sitzen und schmollen? Vielleicht sogar auf Grund unserer eigenen Sattheit?
Zunächst gilt es einmal ist festzustellen, dass dieser „Holländer“ stringent erzählt und handwerklich gut gemacht ist – und durchaus eine Idee verfolgt.  Daland ist ein Ventilator-Hersteller. Überhaupt macht er viel Wind. Vor allen Dingen, wenn es um den „Verkauf“ seiner Tochter Senta an den Holländer geht. Der wiederum kommt aus einer dunklen, digitalen Welt – sein Segelboot ist ein überdimensionaler Mikrochip. Sein Gepäck ein Koffer mit Barem. Alle sieben Jahre darf er aus seinem virtuellen Kosmos in die Wirklichkeit treten, in der er auch nur Simulation findet, statt wahrer Liebe.
Die will ihm schließlich ausgerechnet Senta geben, die in der Ventilator-Welt ihres Vaters eine eigene, altmodische Kreativität feiert. Sie bastelt das blutige Holländer-Schiff und eine Holländer-Skulptur aus den Papp-Verpackungen ihres Vaters. Sie verwandelt ihre Träume mitten in der Fabrik in Karton-Wirklichkeiten.
Gloger und sein Ausstatter Christof Hetzer schaffen also drei Welten: New Economy, virtuelles Weltmeer und Pappkarton-Kreativität. Und noch etwas: Sie pflegen ruhige, stille Bilder, die stets die Musik unterstützen. Keinen Aktionismus, kein wirrer Gedanke zu viel. Lieber steht alles still (oder kreist auf der Drehbühne) als dass die Regie sich wichtiger nimmt als Wagner und in den Vordergrund stellt, wo sie nichts zu sagen hat.
All das ist in der aktuellen Zeit der Opernregie schon ziemlich viel. Nein, es ist keine Revolution, kein Neudenken, keine Erschütterung. Gloger ist kein Konwitschny, kein Wieland Wagner, kein Ponnelle – aber das will er auch nicht sein. Stattdessen ist er ein Regisseur, der der Musik ihren Raum lässt. Und das ist schon viel.
Er legt eine Inszenierung vor, die sich auf Christian Thielemann verlässt, der den „Holländer“ nicht rumpeln und poltern lässt, sondern einen wirklichen Rausch inszeniert. Der die Tempi felxibel gestaltet, in den Nebenstimmen nach tragenden Rollen sucht, der gleichzeitig das Pathos pflegt und dennoch ungehörte Nuancen zum Vorschein bringt. Ein Dirigat zum Zuhören, zum Selbersuchen.
Und all das muss gesagt werden, bevor gebellt wird! In Bayreuth und an vielen anderen Orten wird derzeit gesucht – gesucht nach neuen, relevanten Formen der Oper. Selten gab es so viele gute Sänger, so viele gute Musiker wie heute. Selten war es so spannend, wo und wann der Durchbruch gelingt. Allein, es fehlt vielen Inszenierungen an einer zeitgemäßen Ästhetik, an Provokationspotenzial oder an tatsächlicher Relevanz.
Kritiker können das feststellen und „Langweilt mich!“ rufen. Aber damit helfen sie nicht. Dabei wäre eine Debatte, die genaue Beobachtung, die Analyse, das Diskutieren über Formen der Darstellung wichtig. Grundvoraussetzung: Ein guter Wille. Denn, das müssen wir mindestens seit 10 Jahren verstanden haben, die Luft wird dünn. Opernhäuser werden geschlossen, und das Feuilleton hat schon lange keine Wirkung mehr. Die Meinung eines Opernkritikers ist belanglos geworden in einem Umfeld, in dem über Griechenlandpleite, Attentate und Weltpolitik debattieret wird, als wären all das längst die besseren Opern. Die Künstler und wir stecken in der GLEICHEN Krise.
Und das führt schließlich zu so absurden Verrenkungen, dass einige Kritiker sich zu Kämpferinnen für einen Sänger aufschwingen, der vom Staatsschutz verbotene Runen auf seiner Brust tätowiert hat. Nein, liebe Freunde, das ist die Oper des Boulevards. Das ist ein Nicht-Thema! Lasst uns endlich wieder wohlwollend über die Kämpfe streiten, die auf der Bühne als Spektakel ausgefochten werden. Darüber, wie die Oper wieder zu einem Raum wird, der nicht nur das Feuilleton bewegt. Ein Ort, den wir als Gesellschaft brauchen, um uns über uns selbst bewusst zu werden. Gemeinsam. Ohne Schmollen. Und ohne Selbstgefälligkeit!
AXEL BRÜGGEMANN


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