Mittwoch, 25. Januar 2012

Die Kulturmagazinlüge

Es ist nicht die Sache, sondern eher die Art, die nachdenklich stimmt. Die Berliner Philharmoniker kündigen nicht an, dass sie ihr Programmheft in Zukunft für sieben Euro verkaufen wollen, sondern formulieren es etwas großspuriger. Sie gründen eine neue "Kulturzeitschrift"! Auflage 50.000, in Deutsch und in Englisch. Erscheinungsweise: vierteljährlich. Das bisherige Magazin wird dafür eingestellt.
Man liest diese Nachricht und denkt: Wow! Doch das Orchester verrät auch einige der neuen Inhalte: ein Interview mit Cécilia Bartoli und ein Artikel über Geigen als Geldanlage. Und schon verfliegt das Wow in ein - Nun ja.
Publikumszeitschriften in der Klassik sind wunderbare Erfindungen. Sie können schaffen, was ein Spielplan nicht schafft: potenzielle Zuschauer im Vorfeld begeistern oder Parallelen zwischen der Wirklichkeit und dem Konzertwesen schlagen. Warum werden Künstler eingeladen? Wie begegnen sie den Stücken, die sie spielen? Was bedeuten Beethoven, Mozart und Co. den Musikern persönlich? Texte, Interviews und Bilder können einem neuen Publikum ebenso wie den Abonnenten unsere Begeisterung vermitteln. Sie darauf hinweisen, wo sie die Ohren spitzen können. Hintergründe, Geschichten, persönliche Annäherungen präsentieren - all das, was immer auch in der Musik zu hören ist. Die Geschichte hinter einer Interpretation. Den Menschen hinter einem Künstler. Die Leidenschaft, die nötig ist, um durch Musik zu berühren!
Eines der besten Magazine, das von einem Veranstalter herausgegeben wird, ist das des Festspielhauses in Baden-Baden. Auch deshalb, weil viele Texte über die eigenen Veranstaltungen hinausweisen. Weil Kulturwissenschaftler, renommierte Journalisten und Musiker zu Worte kommen. Dazu: eine moderne Zeitschriften-Ästhetik, tolle Bilder und spannende Texte. Ich selbst arbeite für das Magazin der Staatskapelle in Dresden - auch wir versuchen, in Texten die Ohren neugierig zu machen. Und, ja, auch das Magazin der Berliner Philharmoniker war immer lesenswert.
Warum nun die Umstellung auf einen Kauftitel? Warum Schranken aufbauen? Warum jene zum lesen verlocken, die eh schon ins Konzert gehen - und nur solche, die es sich leisten können? Die Berliner Philharmoniker inszenieren sich gern als multimediales Orchester. Auch, wenn die Erfolge zuweilen fraglich sind. Die wahren Klicks der virtuellen Konzerthalle im Internet lassen zu wünschen übrig. Sie scheint mehr dem Image zu dienen als den Zuschauern. Im Fernsehen fahren die Berliner unter Rattle bedenkliche Quoten ein. Die neuen CDs verkaufen sich schleppend.
Und nun ein Magazin? Ein "Kulturmagazin" gar? Kleiner geht es nicht?
Malererei, Kino, Pop und Co. werden ausgelassen und stattdessen so getan, als sei die Klassik Kultur genug? Der Erfolg eines solchen Magazins lässt sich an drei Fingern errechnen. "Rondo", "Crescendo" und all die anderen kostenlosen Klassikmagazine helfen in Sachen Klassikvermittlung sicherlich mehr. Und die Gefahr ist groß, dass auch dieses Mal die Ankündigung der Berliner der eigentliche Zweck ist - und nicht das Ergebnis. Die Berliner Philharmoniker müssen aufpassen, dass sie ihren guten Ruf, den sie noch immer als 1A-Ensemble haben, und der sich aus ihrer Musikalischen Klasse herleitet, nicht durch eine merkwürdige Großspurigkeit zerstören.
Eitelkeit kommt vor dem Fall. Ein befreundeter Musiker zuckte, als ich ihm vom neuen Philharmoniker-Magazin erzählte nur die Achseln. "Na ja", sagte er, "mich würde es nicht wundern, wenn sie bald eine Pressemitteilung veröffentlichen, in der sie bekannt geben, dass sie das erste Orchester sein wollen, das auf dem Mars spielt."
Macht Musik, Freunde - und, ja, informiert Euer Publikum über die Wahrhaftigkeit Eurer Kunst. Aber, bitte - seid ehrlich. Und echt. Das, und nichts anders, hat die große Kunst der Klassik verdient.

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