Mittwoch, 11. Januar 2012

Die Wiener Thielamannitis!

Der österreichische Hype um Christian Thielemann erreicht Pop-Star-Niveau. Mit Anna Netrebko ging die Rechnung auf – aber der Dirigent ist keine Sissi. Schließlich liebt er den König der Aufklärung: Friedrich den Großen. Ein Kommentar anlässlich seines "Ring"-Dirigates im Dezember. 

Wir kennen das von Justin Bieber: Kreischende Girlies, die der Reihe nach in Ohnmacht fallen. Der Pop lebt von der unmittelbaren Kritiklosigkeit der Pickelträger. In Popkonzerten beginnt das große Kreischen schon vor dem Auftritt. Nach Elvis, den Beatles, den Rolling Stones, Michael Jackson und Justin Bieber ist der Hysterie-Virus nun auch bei Christian Thielemann angekommen. Allerdings fallen beim Maestro aus Berlin keine kleinen Mädchen, sondern die gestandene Österreichische Kritiker-Elite in Ohnmacht. Also jene ehrwürdigen Hüter des Musikgrals, die davon ausgehen, dass ihre Meinung mindestens so ernst wie Amfortas Klagerufe genommen werden. Die ehrenwerten Feuilletonisten haben von der Klassik-Kritik auf Kreischmodus umgeschaltet. Sie sitzen mit tränengenässten Augen in der Aufführung der „Götterdämmerung“, haben ihre Ohren auf Sensation gepolt und ihre Federn in Superlativitis getaucht.
Sie feiern den Wiener Musik-Messias Christian Thielemann als „ neuen Karajan“ (Die Presse), der seinen „Wunder-Ring“ (Kurier) dirigiert. Fast scheint es, als wolle die Österreichische Kritikerzunft sich in Thielemanns Leitmotiv-Sonne selber feiern. Als wäre sie bereit, sich von seinem Klangrausch auch den letzten Zweifel aus dem Gehirn pusten zu lassen. Sie kommen in die Oper, wie Richard Wagner sich sein Publikum gewünscht, und Friedrich Nietzsche die Wagnerianer gefürchtet hat: als willenlose Pilger. Als mediale Claque, als champagnisierte Feiermeute, als klangbesoffene Lubhudel-Wort-Erfinder!

Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Christian Thielemann ist eine herausragende Künstlerpersönlichkeit, der beste Wagner-Dirigent sowieso. Aber er ist kein Maestro der Massen, kein in Gold gewickelter Publikumsliebling. Er ist ein Durchdringer, ein Auseinandersetzer, einer der schärfsten Kritiker seiner selbst. Einer, der seine Klappe aufreißt, wenn ihm etwas nicht gefällt, eine Berliner Schauze, die sein Orchester anraunzt, wenn es wackelt. Er nimmt weder Rücksicht auf Intendanten noch auf das Musik-Bizz. Christian Thielemann ist ein Freigeist. Einer, der sich dem Opern-Bussi-Bussi entzieht. Jemand, der aufblüht, wenn ihm der Wind entgegenpeitscht.
Kein Wunder also, dass sein zukünftiges Hausorchester, die Staatskapelle in Dresden, nach Wien schaut und schmunzelt. Nicht über den Maestro, sondern über seine Kritiker. Dass ausgerechnet ihr preußischer Maestro als Pop-Star der Donauopernmonarchie gefeiert wird, als Wagners Justin Bieber – und dass sich die Wiener Kritik nicht entblödet, strahlendes C-Dur anzustimmen und die große Oper als Operette zu feiern.
Sicherlich ist die Begeisterung für die Klassik die beste Werbung für eine Kunst in der Krise. Und dem Publikum vorab einen Ohren-Organsmen zu versprechen, weil Thielemann in der Stadt ist, mag einer ungehemmten Begeisterung entspringen. Und tatsächlich gibt es für Sänger, Solisten und Dirigenten nichts schlimmeres als schlechtgelaunte Beckmesser-Kritiker wie einst Eduard Hanslick, der schon Wagner das Leben zur Hölle machte – und dafür als Trottel in den „Meistersingern“ Eingang in die Musikgeschichte fand.
Aber was ist, sachlich betrachtet, eigentlich passiert? Christian Thielemann hat einen „Ring“ in Wien dirigiert. Das hat er zuvor schon in Berlin und in Bayreuth getan (letzterer ist als CD erhältlich und gilt als Referenzaufnahme). Und er hat – so wie überall, wo er auftritt – seine Sache gut gemacht: durchdachter Klangrausch und modernes Pathos. Dass die Hälfte der Sängerriege erkrankt, die andere überfordert war, dass es durchaus orchestrale Wackler gab – das scheint keine Rolle mehr zu spielen. Schließlich geht es darum, einen Ausnahmezustand zu inszenieren. Die ganz große Medien-Oper!
Und klar: Die Wiener Philharmoniker lieben Christian Thielemann, der mit Schnauze statt mir Schmäh vor ihnen steht. Aber das tut die Staatskapelle in Dresden auch und die Philharmoniker in Berlin, die Thielemann für die Zeit nach Rattle schon längst als Karajan in Spe ausgeschaut haben.
Wien, so scheint es, will dem Dirigenten ein zu Hause sein. Seine Kritiker schlagen die Betten für den Maestro auf und beschreiben ihre Seiten mit warmen Daunendecken-Worten. Wer Thielemann kennt, weiß, dass er resistent gegen derartige Schmeicheleien ist. Christian Thielemann ist kein Maestro, der sich in gemachte Betten legt: Das hat bereits die Deutschen Grammophon gespürt, als er aus dem PR-Klassik-Geschäft ausgestiegen ist, und das hat er in München klar gemacht, wo er geliebt, aber sein Orchester nicht finanziell unterstützt wurde. Thielemann ist kein Herdentier der Musik. Er hat sich seinen eigenen, autonomen Klassik-Kreis aufgebaut: Er hat die Rechte an seinen Bildern exklusiv an Jan Mojto von Unitel verkauft, plant mit Katharina Wagner die Bayreuther Festspiele – er ist überall dort, wo der Jet-Set fern ist. Er ist dort, wo ernsthafte Kritik, wahrhafte Auseinandersetzung mit der Musik, wo Diskurs und Debatte zu Hause sind.
Aber Wien und ganz Österreich sind im Hype! Und ein bisschen erinnert die aktuelle Thielemannitis an die Österreichische Netrebkonitis. Auch die russische Ensemble-Sängerin des Marinskij-Theaters, die in Salzburg vom Feuilleton entdeckt, vom Boulevard gefeiert und von der Platten-PR zur neuen Callas stilisiert wurde, ließ Österreichs Kritik unter die Gürtellinie rutschen. Irgendwann war es wichtiger, dass Netrebko im Triangel auf dem Tisch tanzte, bei Escada shoppte und bei Eliette von Karajan zum Bussi-Bussi auftauchte als dass ihre Stimme in der Krise und sie selbst dem Druck der Öffentlichkeit nicht mehr gewachsen war. Egal: Sie wurde Österreicherin, Mutter und Gattin von Erwin Schrott – und natürlich wurde auch der mittelmäßige Bariton sofort eingemeindet!
Anna Netrebko war durchaus empfänglich für die kritiklose österreichische Kritik. Sie hat es genossen, dass hiesige Zeitungsjournalisten im Blut haben, eine Maria Theresia nicht zu kritisieren. Sie hält bis heute Hof in Wien und steigert den Selbstwert der Donaumonarchie.
Davon kann man bei Christien Thielemann nicht ausgehen. Er ist kein Karajan – dazu fehlt ihm das Organisatorische, der Privat-Jet und die Bussi-Bussi-Qualität, stattdessen kümmert er sich gewissenhafter als der Österreichische Maestro um das, was er tut. Und erst Recht ist er keine Sissi! Thielemann verehrt Friedrich den Großen. Die klaren Gedanken. Die Ratio. Und er hasst alles Aufgesetzte. Friedrich der Große genoss es bekanntlich auch, sich von Voltaire zuweilen die Leviten lesen zu lassen. Wenn Wien Thielemann einen Gefallen tun will, dann wäre die österreichische Kritik gut beraten, auf Aufklärung statt auf Verklärung zu setzen, auf Kritik statt auf Kumpanei. Oder anders: Vielleicht täten jene Tugenden, die Christian Thilemann ausmachen, seine Unbedingtheit, seine Ernsthaftigkeit und seine Glaubwürdigkeit auch dem Feuilleton gut.
AXEL BRÜGGEMANN

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